Der Arbeitgeber ist gem. § 241 II BGB verpflichtet, den schwerbehinderten Arbeitnehmer auf dessen Zusatzurlaub nach § 125 SGB IX a.F. hinzuweisen. Kommt der Arbeitgeber diesen Informations- und Hinweispflichten nicht nach, so steht dem Arbeitnehmer ein Schadensersatzanspruch in Form des Ersatzurlaubs zu, der sich mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Abgeltungsanspruch umwandelt (LAG Niedersachsen, Urteil vom 16.1.2019, Az.2 Sa 567/18).

Sachverhalt der Entscheidung

Die Parteien streiten unter anderem um Zahlungsansprüche im Zusammenhang mit der Abgeltung von Urlaubsansprüchen. Die Klägerin ist schwerbehindert. Die beklagte Arbeitgeberin hat die Klägerin im laufenden Arbeitsverhältnis jedoch weder auf den für Schwerbehinderte bestehenden Zusatzurlaub hingewiesen noch hat sie die Klägerin aufgefordert, diesen Urlaub in Anspruch zu nehmen. Das LAG Niedersachsen spricht der Klägerin daher im Rahmen des Kündigungsstreitverfahrens einen Anspruch auf Abgeltung ihres Urlaubs zu.

Zur Rechtslage

Die Aufforderungs- und Informationspflicht ist eine Nebenpflicht des Arbeitgebers, die aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 241 II BGB folgt. Dies folgt laut LAG Niedersachsen insbesondere aus der besonderen Bedeutung, die der EuGH dem bezahlten Jahresurlaub in seiner Rechtsprechung beimisst. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BAG besteht bei Nichtbeachtung dieser Nebenpflicht folglich ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Schadensersatz in Form von Ersatzurlaub. Dieser Anspruch wandelt sich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Abgeltungsanspruch um.

Ein Anspruch besteht bereits dann, wenn der Arbeitgeber seinen Informations- und Hinweispflichten gemäß der Entscheidung des EuGH vom 6.11.2018 (NZA 2018, 1474) nicht nachgekommen ist. Es kommt nicht mehr darauf an, ob der Arbeitnehmer Urlaub beantragt und dadurch den Arbeitgeber in Verzug gesetzt hat oder der Arbeitgeber sich wegen einer ernsthaften und endgültigen Urlaubsverweigerung zum Zeitpunkt des Verfalls des Urlaubsanspruchs in Verzug befindet. Vielmehr ist der Ersatzurlaubsanspruch abzugelten, wenn dieser wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr in natura in Anspruch genommen werden kann.

Grundsätze gelten auch für den Schwerbehindertenzusatzurlaub

Diese Grundsätze sind auf den Zusatzurlaub für Schwerbehinderte nach § 125 SGB IX a.F. zu übertragen. Welche konkreten Verpflichtungen sich für den Arbeitgeber nach der Entscheidung des EuGH vom 6.11.2018 ergeben, konnte im vorliegenden Fall nach Auffassung des LAG offen bleiben. Jedenfalls besteht ein Anspruch bereits deshalb, weil die Arbeitgeberin während des Bestands des Arbeitsverhältnisses die Klägerin weder auf den Zusatzurlaub für Schwerbehinderte hingewiesen noch sie aufgefordert hat, den Urlaub in Anspruch zu nehmen.
Praxishinweis

Das LAG Niedersachsen folgt mit dem Urteil der wegweisenden Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofes (EuGH Urt. v. 06.11.2018, Az. C-684/16). Der automatische Verfall von Urlaubsansprüchen gehört der Vergangenheit an. Für Arbeitgeber bedeutet das Urteil zusätzliche Arbeit und Dokumentationspflichten, sonst haben Arbeitnehmer mehr Urlaub als gedacht, auch in Form von Urlaubsabgeltung.

Bei Fragen rund um das Urlaubsrecht und im gesamten Arbeitsrecht steht Ihnen in unserer Kanzlei Frau Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht Nadine Kanis zur Seite jederzeit gerne zur Seite!


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