Die Weiterleitung von Mails mit betrieblichen Informationen auf einen privaten E-Mail-Account zur Vorbereitung einer Tätigkeit bei einem neuen Arbeitgeber stellt eine schwerwiegende Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflichten dar und kann eine fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, so das LAG Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 16.5.2017, Az. 7 Sa 38/17.

Sachverhalt

Die Parteien streiten zuletzt noch über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung und Vergütungsansprüche. Die Beklagte ist ein in Berlin ansässiges Unternehmen, das u.a. Rückkühlanlagen zur effizienten Wärmeabführung in Industrieanlagen herstellt. Der Kläger ist bei ihr als Senior Expert Sales & Engineering im Bereich Vertrieb in Berlin beschäftigt.

Zur Sicherung ihrer Daten hat die Beklagte ihre Computer und Laptops mit einer Sicherheitssoftware ausgestattet, die ein Kopieren von Daten auf externe Speichermedien außerhalb des Netzwerks verhindern soll. Bei Bedarf kann ein Legitimationsschlüssel angefordert werden, mit dem das Speichern auf externe Datenträger ermöglicht wird. Nach § 11 Abs. 4 des Arbeitsvertrags sind Daten und Informationen, die auf privaten elektronischen Datenträgern gespeichert sind, auf Verlangen sofort, spätestens aber bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu löschen. Außerdem stellt die Bekl. Mitarbeitern, so auch dem Klägers, Laptops für den dienstlichen Gebrauch zur Verfügung, auf denen Daten abgespeichert werden können und die über einen externen Zugang auf das Netz der Bekl. Zugriff nehmen können. Ob dieser Zugang auf dem Dienstlaptop des Klägers eingerichtet war oder ob er sich damit nur über eine Dockingstation bei der Beklagten selbst in das Firmennetzwerk einloggen konnte, ist zwischen den Parteien streitig.

Da der Kläger mit der Entwicklung seines Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten unzufrieden war, nahm er Ende 2015, Anfang 2016 Verhandlungen mit anderen Arbeitgebern, u.a. der Firma P. P. Anlagen B.- und K. GmbH auf. Diese Gesellschaft stellt u.a. Kälteanlagen für Industriekälte in der Lebensmittelindustrie her und steht mittlerweile in Konkurrenz zur Beklagten im Bereich der Herstellung von Kühlanlagen. Deren Geschäftsführerin übersandte an die private E-Mail-Anschrift des Klägers den Entwurf eines Arbeitsvertrags für den Beginn eines Arbeitsverhältnisses ab dem 1.7.2016 als Senior Expert Sales & Engineering mit einem Bruttomonatsverdienst von € 5.600,– und einer erfolgsabhängigen Provision, sowie den Entwurf einer Handlungsvollmacht und den Entwurf eines Fahrzeugüberlassungsvertrags.

Am Abend des 25.04.2016 sandte der Kläger von dem Computer an seinem Arbeitsplatz aus an seine private E-Mail-Anschrift zahlreiche E-Mails, deren genaue Zahl zwischen den Parteien streitig ist, darunter drei, die ein von einem Kollegen betreutes Projekt betrafen und Angebots- und Kalkulationsgrundlagen für dieses Projekt, technische Daten und Berechnungsparameter sowie Vertragsentwürfe und Wartungsverträge enthielten. Dies stellte die Beklagte bei einer Überprüfung des E-Mail-Accounts des Klägers in dessen Beisein und nach Genehmigung des Betriebsrats fest.

Mit der vorliegenden Klage wendet sich der Kläger gegen die fristlose Kündigung, die er mangels Vorliegen eines wichtigen Grunds sowie fehlerhafter Betriebsratsanhörung für unwirksam hält. Das ArbG hat mit Urteil vom 07.11.2016 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche fristlose Kündigung v. 29.04.2016 nicht aufgelöst ist und – soweit für das Berufungsverfahren noch relevant – die Beklagte verurteilt, an den Kläger die Vergütung für Mai und Juni 2016 abzüglich erhaltenen Arbeitslosengelds sowie die bis 30.6.2016 anteilige Erfolgsbeteiligung zu zahlen.

Aus den Entscheidungsgründen

Die Berufung der Beklagten hat auch teilweise Erfolg. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis endete auf Grund der fristlosen Kündigung der Bekl. mit sofortiger Wirkung. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten erweist sich als rechtswirksam. Dieser stand ein wichtiger Grund an sich zur Seite, der es ihr unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien unzumutbar machte, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist, hier bis zum 31.07.2016, fortzusetzen. Die Kündigung erweist sich auch nicht wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung als rechtsunwirksam.

Neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten ist als wichtiger Grund auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet. Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann.

Auf Grund dieser Rücksichtnahmepflicht ist es dem Arbeitnehmer verwehrt, sich ohne Einverständnis des Arbeitgebers betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen oder diese für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen. Betreffen die Unterlagen ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, ist die Herstellung einer verkörperten Wiedergabe gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1b UWG sogar strafbewehrt, wenn dies zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zu Gunsten eines Dritten oder in der Absicht geschieht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen. Verstößt der Arbeitnehmer rechtswidrig und schuldhaft gegen diese Vorgaben, kann darin ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB liegen.

Ob es dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien unzumutbar ist das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen, hängt insb. von der Motivation des Arbeitnehmers und möglichen nachteiligen Folgen für den Arbeitgeber ab. Bei Beachtung dieser Grundsätze war auch im vorliegenden Fall von einem wichtigen Grund „an sich“ auszugehen. Der Kläger hat in schwerwiegender Weise gegen seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht verstoßen, indem er sich am 24. und 25.4.2016 umfangreiche E-Mails mit Unterlagen und Daten der Beklagten zu betriebsfremden Zwecken an seine private E-Mail-Anschrift übersandt hat. Nach Überzeugung der erkennenden Kammer hat der Kläger diese Daten an seine private E-Mail-Adresse weitergeleitet, um seine Tätigkeit bei einem neuen Arbeitgeber vorzubereiten und dieser Tätigkeit Geschäftsdaten der Beklagten zu Grunde zu legen. Dies ergab sich aus Sicht der Kammer aus folgenden Umständen:

Es bestand schon keine dienstliche Notwendigkeit, sich Daten auf einen privaten E-Mail-Account zu übermitteln. Der Kläger hatte einen von der Beklagten bereit gestellten Laptop, auf dem er dienstliche Daten speichern konnte und mit dem er zu Hause hätte arbeiten können. Bei Übersendung der E-Mails Ende April 2016 befand sich der Kläger – anders als er im Prozess glauben machen will – in sehr konkreten Vertragsverhandlungen mit seiner neuen Arbeitgeberin, die dann in Konkurrenz zur Beklagten getreten ist. Ausweislich des Anschreibens der P. GmbH vom..., dem der Arbeitsvertrag beigefügt war, handele es sich um einen neuen Vertragsentwurf, in dem der Urlaub auf 30 Tage erhöht worden war. Dies setzt aber Verhandlungen zwischen den zukünftigen Vertragsparteien über die konkreten Arbeitsbedingungen voraus. Die Übersendung der E-Mails an seine private Anschrift zu betriebsfremden Zwecken stellt einen erheblichen Vertragsverstoß dar, der als wichtiger Grund an sich für eine außerordentliche Kündigung geeignet ist. Bei den Daten, um die es hier geht, handelt es sich jedenfalls um Informationen, an denen die Bekl. ein berechtigtes Interesse daran hat, dass sie nicht an Dritte, insb. Konkurrenten weitergeleitet werden. Kalkulationsgrundlagen, Angebote und Kundendaten zählen auch zu denjenigen Geschäftsunterlagen, bei denen für einen Arbeitnehmer, insb. in der Stellung des Klägers, ohne weiteres erkennbar ist, dass diese nicht für eine Öffentlichkeit, insb. nicht für potenzielle Konkurrenten bestimmt sind.

Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Vertragsinteressen war es der Bekl. unzumutbar, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Die Pflichtverletzung des Kl. stellt sich schon deshalb als erheblich dar, weil sie darauf gerichtet war, die geschäftlichen Interessen der Bekl. in erheblichem Maße zu beeinträchtigen, unabhängig davon, ob der Kläger dann am Ende die von ihm übersandten Daten auch zu Konkurrenzzwecken verwendet hat, oder ob dies unterblieben ist, nachdem die Bekl. von ihm eine entsprechende Unterlassungserklärung verlangt hat. Denn die möglichen Folgen für die Bekl. waren erheblich.

Mit der Übersendung von Kundendateien einschließlich deren Adressen und Kontaktdaten kann der Kläger bei einem Wechsel seines Arbeitgebers unmittelbar mit diesen Kunden in Kontakt treten und das Geschäft von der Bekl. auf den neuen Arbeitgeber überleiten. Auch wenn der Kläger einzelne Kundendaten im Kopf gespeichert hat, erleichtert ihm eine schriftlich niedergelegte Liste der Kunden mit E-Mail-Adressen und sonstigen Kontaktdaten deutlich die Herstellung der Kundenbeziehungen gegenüber einer rein im Kopf vermerkten Information. Anderenfalls hätte der Kläger auch nicht – wie von ihm behauptet – die Kundenliste zum Abgleich nach Hause übersenden müssen, wenn er sämtliche Kunden einschließlich ihrer Kontaktdaten in seinem Kopf gespeichert gehabt hätte.

Im Arbeitsrecht vertritt Frau Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht Nadine Kanis Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Diese ist spezialisiert auf das Kündigungsschutzrecht.


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