Am 17. Juli 2017 berichteten wir, dass der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts bei dessem Fünften Senat angefragt hat, ob dieser an seiner Rechtsauffassung zur Verbindlichkeit von Weisungen des Arbeitgebers festhält.
Der Fünfte Senat hatte bekanntlich bisher angenommen, dass sich ein Arbeitnehmer über eine unbillige Ausübung des Weisungsrechts - sofern sie nicht aus anderen Gründen unwirksam sei - nicht hinwegsetzen dürfe, sondern entsprechend § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB die Gerichte für Arbeitssachen anrufen müsse.
Der Antwortbeschluss des Fünften Senats vom 14. September 2017
Der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat auf die Anfrage mitgeteilt, dass er an dieser Rechtsauffassung nicht mehr festhält.
Diesen kurzen, aber extrem praxisrelevanten Beschluss und die Folgen für die Praxis wollen wir Ihnen heute näher erläutern. Ausgangspunkt ist zunächst das Direktions- bzw. Weisungsrecht des Arbeitgebers.
Das Direktions- bzw. Weisungsrecht des Arbeitgebers
Der Arbeitsvertrag regelt die wichtigsten Eckdaten des Arbeitsverhältnisses, z.B. die Tätigkeit des Arbeitnehmers, die Vergütung, den Erholungsurlaub, die Kündigungsfristen etc. Die konkreten Tätigkeiten sind dort eher selten zu finden. Hier setzt das sog. Direktions- bzw. Weisungsrecht des Arbeitgebers nach § 106 GewO ein.
Nach § 106 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers greift also immer dann ein, wenn konkrete Arbeitsbedingungen im Arbeitsvertrag, Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung oder per Gesetz nicht vollständig geregelt sind.
Die offenen Fragen zu Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung darf der Arbeitgeber dann kraft seines Direktionsrechts nach § 106 GewO näher bestimmen.
Die Wahrung billigen Ermessens
Das Direktionsrecht besteht nicht schrankenlos. Der Arbeitgeber hat bei der Ausübung des Direktionsrechtsrechts die Grenzen billigen Ermessens zu berücksichtigen, d.h. der Arbeitgeber muss auch die Interessen des Arbeitnehmers angemessen berücksichtigen. Im Einzelfall hat eine Interessenabwägung zwischen den betrieblichen Interessen des Arbeitgebers und den Interessen des betroffenen Arbeitnehmers stattzufinden.
Werden die Grenzen billigen Ermessens überschritten, sind die Anweisungen des Arbeitgebers nicht mehr von seinem Direktionsrecht gedeckt. Sie sind damit rechtswidrig. Der Arbeitnehmer muss diese nicht – auch nicht vorläufig – befolgen, ohne Sanktionen (z.B. Abmahnung, Kündigung) befürchten zu müssen.
Folgen für die Praxis
Unbillige Arbeitsanweisungen sind nach dem Antwortbeschluss des Fünften Senats von Anfang an unverbindlich. Arbeitnehmer sind nicht mehr verpflichtet, vorab ein gerichtliches Verfahren zur Klärung der Unbilligkeit der Weisung einzuholen, wie es vor dem Antwortbeschluss war.
Stellt sich jedoch im Nachhinein die Rechtmäßigkeit der Arbeitsanweisung gerichtlich heraus, könnte dies Auswirkungen auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses haben. Es ist nunmehr am Arbeitgeber, die Billigkeit der Weisung gerichtlich klären zu lassen, notfalls über einstweiligen Rechtsschutz.
Damit ein Arbeitnehmer bei der Beurteilung der Frage, ob eine Weisung im Einzelfall der Billigkeit entspricht, nicht seinen Job riskiert, sollte er im Einzelfall schnellstmöglich einen Rechtsanwalt zu Rate ziehen.
Im Zweifel sollten Arbeitnehmer unbillige Arbeitsanweisungen vorläufig aber ohne Anerkennung einer Rechtspflicht befolgen, bis das Arbeitsgericht rechtskräftig die Unbilligkeit der Weisung festgestellt hat. Besondere Bedeutung wird der Antwortbeschluss für das Recht der Versetzungen haben. Als Arbeitgeber sollten Sie daher in regelmäßigen Abständen ihre Arbeitsverträge (und dort insbesondere die Zulässigkeit ihrer Versetzungsklauseln) überprüfen lassen.
Im Arbeitsrecht steht Ihnen Frau Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht Nadine Kanis engagiert zur Seite!