Der Bundesgerichtshof hat sich in seinem Urteil vom 12. Oktober 2016, Az. VIII ZR 103/15, mit der Reichweite der Beweislastumkehrregelung des § 476 BGB beim Verbrauchsgüterkauf beschäftigt.

Sachverhalt der Entscheidung

Der Kläger kaufte von der Beklagten, einer Kraftfahrzeughändlerin, einen gebrauchten BMW 525d Touring zu einem Kaufpreis von 16.200,00 €. Nach ca. 5 Monaten und zurückgelegten 13.000 Kilometern schaltete die im Fahrzeug eingebaute Automatikschaltung in der Einstellung "D" nicht mehr selbständig in den Leerlauf; stattdessen starb der Motor ab. Ein Anfahren oder Rückwärtsfahren bei Steigungen war nicht mehr möglich. Nach fruchtloser Fristsetzung zur Mangelbeseitigung trat der Kläger vom Kaufvertrag zurück und verlangte die Rückzahlung des Kaufpreises und den Ersatz geltend gemachter Schäden.

Verfahrensgang

Der Kläger hatte beim Landgericht Frankfurt am Main und beim Oberlandesgericht keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht urteilte, dass der Kläger nicht den ihm obliegenden Beweis erbracht habe, dass das Fahrzeug bereits bei seiner Übergabe einen Sachmangel aufgewiesen habe.

Zwar seien die aufgetretenen Symptome nach den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen auf eine zwischenzeitlich eingetretene Schädigung des Freilaufs des hydrodynamischen Drehmomentwandlers zurückzuführen. Auch sei es grundsätzlich möglich, dass der Freilauf schon bei der Übergabe des Fahrzeugs mechanische Veränderungen aufgewiesen habe, die im weiteren Verlauf zu dem eingetretenen Schaden geführt haben könnten. Nachgewiesen sei dies aber nicht. Vielmehr komme als Ursache auch eine Überlastung des Freilaufs, mithin ein Bedienungsfehler des Klägers nach Übergabe in Betracht.

In einen solchen Fall könne sich der Kläger nicht auf die zugunsten eines Verbrauchers eingreifende Beweislastumkehrregelung des § 476 BGB berufen. Nach bis dato herrschender Meinung begründe diese Norm lediglich eine in zeitlicher Hinsicht wirkende Vermutung dahin, dass ein innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang aufgetretener Sachmangel bereits im Zeitpunkt des Gefahrübergangs vorgelegen habe.  Sie gelte dagegen nicht für die Frage, ob überhaupt ein Mangel vorliege. Wenn aber - wie vorliegend - schon nicht aufklärbar sei, dass der eingetretene Schaden auf eine vertragswidrige Beschaffenheit des Kaufgegenstands zurückzuführen sei, gehe dies zu Lasten des Käufers.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof hat seine bislang zu § 476 BGB entwickelten Grundsätze zugunsten des Käufers angepasst, um sie mit den Erwägungen in dem zwischenzeitlich ergangenen Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 4. Juni 2015 (C-497/13, NJW 2015, 2237 - Faber/Autobedrijf Hazet Ochten BV) in Einklang zu bringen.

Die mit diesem Urteil durch den EuGH erfolgte Auslegung des Art. 5 Abs. 3 der Ver-brauchsgüterkaufrichtlinie, der durch § 476 BGB in nationales Recht umgesetzt wurde, gebietet es, im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung des § 476 BGB den Anwendungsbereich dieser Beweislastumkehrregelung zugunsten des Verbrauchers in zweifacher Hinsicht zu erweitern:

Dies betrifft zunächst die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Käufers hinsichtlich des - die Voraussetzung für das Einsetzen der Vermutungswirkung des § 476 BGB bildenden - Auftretens eines Sachmangels innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang.

Im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 der Verbrauchgüterkaufrichtlinie muss der Käufer weder den Grund für die Vertragswidrigkeit noch den Umstand beweisen, dass sie dem Verkäufer zuzurechnen ist. Vielmehr hat er lediglich darzulegen und nachzuweisen, dass die erworbene Sache nicht den Qualitäts-, Leistungs- und Eignungsstandards einer Sache entspricht, die er zu erhalten nach dem Vertrag vernünftigerweise erwarten konnte.

In richtlinienkonformer Auslegung des § 476 BGB lässt der BGH daher nunmehr die dort vorgesehene Vermutungswirkung bereits dann eingreifen, wenn dem Käufer der Nachweis gelingt, dass sich innerhalb von sechs Monaten ab Gefahrübergang ein mangelhafter Zustand (eine "Mangelerscheinung") gezeigt hat, der - unterstellt er hätte seine Ursache in einem dem Verkäufer zuzurechnenden Umstand - dessen Haftung wegen Abweichung von der geschuldeten Beschaffenheit begründen würde. Der Käufer muss dagegen fortan weder darlegen noch nachweisen, auf welche Ursache dieser Zustand zurückzuführen ist, noch dass diese in den Verantwortungsbereich des Verkäufers fällt.

Außerdem ist im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des § 476 BGB die Reichweite der dort geregelten Vermutung um eine sachliche Komponente zu erweitern. Danach kommt dem Verbraucher die Vermutungswirkung des § 476 BGB fortan auch dahin zugute, dass der binnen sechs Monate nach Gefahrübergang zu Tage getretene mangelhafte Zustand zumindest im Ansatz schon bei Gefahrübergang vorgelegen hat. Damit muss der Käufer nicht mehr nachweisen, dass ein erwiesenermaßen erst nach Gefahrübergang eingetretener akuter Mangel seine Ursache in einem latenten Mangel hat.

Folgen für die Praxis

Folge dieser geänderten Auslegung des § 476 BGB ist eine im größeren Maß als bisher angenommene Verschiebung der Beweislast vom Käufer auf den Verkäufer beim Ver-brauchsgüterkauf, also der Kauf einer beweglichen Sache durch einen Verbraucher von einem Unternehmer. Verbraucher werden das Urteil begrüßen. Verkäufer sollten dieses Urteil kennen und ein daraus resultierendes zusätzliches Gewährleistungsrisiko in den Preis einkalkulieren. Für Verkäufer, die sich ihrer Sache sicher sind, bleibt zudem die Möglichkeit die Vermutung, dass der Sachmangel seit Gefahrübergang bereits vorhanden war, zu widerlegen. Einfach ist dies indes nicht.


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