Der VGH Mannheim hat entschieden, dass das baden-württembergische Beherber¬gungsverbot für Gäste aus deutschen Regionen, in denen die 7-Tage-Inzidenz von 50 neu gemeldeten SARS-CoV-2-Fällen pro 100.000 Einwohner überschritten wurde, voraussichtlich verfassungswidrig ist und daher vorläufig außer Vollzug ge¬setzt wird (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss v. 15.10.2020, Az. 1 S 3156/20).

 

§ 2 Abs. 1 der Corona-Verordnung Beherbergungsverbot des Wirtschafts- und So¬zialministeriums vom 15.07.2020 (in der ab 29.08.2020 geltenden Fassung) unter¬sagt die Beherbergung von Gästen, die sich in einem Land-, Stadtkreis oder einer kreisfreien Stadt innerhalb der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten oder darin ihren Wohnsitz haben, in dem der Schwellenwert von 50 neu gemeldeten SARS-CoV-2-Fällen pro 100.000 Einwohner in den vorangehenden sieben Tagen (7-Tage-Inzidenz) überschritten wurde. Die Verordnung sieht eine Ausnahme von diesem Be¬herbergungsverbot vor, wenn die Gäste einen negativen Coronatest vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden ist (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 3 CoronaVO Beherbergungs¬verbot).

Die Antragsteller haben für die Zeit vom 16.10.2020 bis zum 23.10.2020 einen Ur¬laubsaufenthalt im Landkreis Ravensburg gebucht. Am 10.10.2020 wurde im Kreis Recklinghausen, in dem die Antragsteller wohnen, die 7-Tage-Inzidenz von 50 neu gemeldeten Sars-CoV-22 Fällen pro 100.000 Einwohner überschritten. Sie wenden sich gegen das Beherbergungsverbot und tragen vor, dieses mache den Aufenthalt in der gebuchten Unterkunft – die über 2.000 Euro gekostet habe – unmöglich und sei daher unverhältnismäßig und willkürlich. Die Möglichkeit zur Vorlage eines negati¬ven Coronatests diskriminiere Gäste aus Regionen mit schlechten Testkapazitäten und Familien. Es sei bei vorangehenden Testungen in der Familie nie gelungen, das Testergebnis innerhalb von weniger als 72 Stunden zu erlangen. Weiterhin müsse der Test privat bezahlt werden und belaste die Antragsteller mit ihren drei Kindern mit Gesamtkosten von 774,55 Euro (154,91 Euro pro Test) erheblich.

Die Landesregierung (Antragsgegner) ist dem Antrag entgegengetreten. Das Beher¬bergungsverbot sei verhältnismäßig. Zahlreiche Ferienregionen, unter anderem in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern hätte im Hin¬blick auf die Eindämmung des Infektionsgeschehens in der jüngeren Vergangen¬heitsehr gute Erfahrungen mit Reisebeschränkungen gemacht. Angesichts von mehr als 5.000 nachgewiesenen Neuinfektionen pro Tag sei aktuell nicht die Zeit, Be¬schränkungen zurückzunehmen.

Der VGH Mannheim hat dem Eilantrag stattgegeben und §§ 2 und 3 der CoronaVO Beherbergungsverbot mit sofortiger Wirkung vorläufig außer Vollzug gesetzt.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs greift das Beherbergungsverbot in unverhältnismäßiger Weise in das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Art. 11 Abs. 1 GG ein und ist daher voraussichtlich verfassungswidrig. Eingriffszweck und Ein¬griffsintensität stünden nicht in einem angemessenen Verhältnis zueinander. Der Antragsgegner verfolge mit der Eindämmung der Pandemie den Schutz von hoch¬rangigen Rechtsgütern. Die Vorschrift diene dazu, Gefahren für das Leben und die körperliche Unversehrtheit einer potenziell großen Zahl von Menschen abzuwehren und die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems in Deutschland durch die Ver¬langsamung des Infektionsgeschehens sicherzustellen.

Jedoch habe der Antragsgegner bereits nicht dargelegt, dass im Zusammenhang mit der Beherbergung ein besonders hohes Infektionsrisiko bestehe, dem mit so dras¬tischen Maßnahmen begegnet werden müsste. Derzeit seien trotz steigender Fall¬zahlen in Deutschland keine Ausbruchsgeschehen in Beherbergungsbetrieben be¬kannt. Vielmehr sei aktueller „Treiber“ der Pandemie das Feiern in größeren Grup¬pen oder der Aufenthalt in Bereichen, wo die Abstands- und Hygieneregeln aufgrund räumlicher Enge, z.B. in der Schule oder in verschiedenen Wohnsituationen (z.B. Pflegeheimen oder Flüchtlingsunterkünften) nicht eingehalten würden. Die Landes¬regierung sei verpflichtet, fortlaufend und differenziert zu prüfen, ob konkrete Grundrechtseingriffe auch weiterhin zumutbar seien und ob das Gesamtkonzept von Beschränkungen und Lockerungen noch in sich stimmig und tragbar sei. Bis auf Clubs und Discotheken seien sämtliche Geschäfte, Freizeit- und Sportein¬richtungen, Gaststätten, Bars und Vergnügungsstätten wieder – wenn auch mit Schutzvorkehrungen – geöffnet. Dass gerade Beherbergungsbetriebe, in denen nicht zwangsläufig eine große Zahl fremder Menschen aufeinandertreffen, sondern Gäste in abgeschlossenen Räumlichkeiten ggf. mit einer überschaubaren Personenanzahl übernachteten und deren Kontaktdaten hinterlegt seien, davon ausgenommen wür¬den, erschließe sich nicht.

Es sei den Antragstellern nicht zumutbar, sich auf die Möglichkeit verweisen zu las¬sen, negative Coronatests vorzulegen. Nach derzeitiger Sachlage erscheine es nicht hinreichend gewährleistet, dass ein solcher Test von Reisenden überhaupt so kurz¬fristig erlangt werden könne. Schon aus rein organisatorischer Sicht sei fraglich, ob dieses enge Zeitfenster, in dem eine Abstrichentnahme durch medizinisches Fach¬personal, der Transport der Proben ins Labor sowie die Übermittlung des Ergebnis¬ses und schließlich das Erscheinen des Gastes im Beherbergungsbetrieb stattfinden müsse, überhaupt eingehalten werden könne.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Quelle: Pressemitteilung des VGH Mannheim Nr. 43/2020 v. 15.10.2020
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