Der EuGH hat am 06.11.2018 entschieden, dass die Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers von dessen ehemaligem Arbeitgeber eine finanzielle Vergütung für den von dem Arbeitnehmer nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub verlangen können (Az. C-569/16, C-570/16).

Der Anspruch des verstorbenen Arbeitnehmers auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub könne nämlich im Wege der Erbfolge auf seine Erben übergehen, so der EuGH.

Der verstorbene Ehemann von Frau B. war bei der Stadt Wuppertal und der verstorbene Ehemann von Frau Br. bei Herrn W. beschäftigt. Da die Verstorbenen vor ihrem Tod nicht alle Urlaubstage genommen hatten, beantragten Frau B. und Frau Br. als deren alleinige Rechtsnachfolgerinnen von den ehemaligen Arbeitgebern ihrer Ehemänner eine finanzielle Vergütung für diese Urlaubstage. Die Stadt Wuppertal und Herr W. lehnten die Zahlung ab, worauf Frau B. und Frau Br. die deutschen Arbeitsgerichte anriefen.

Das mit diesen Rechtsstreitigkeiten befasste BAG ersucht den EuGH, in diesem Kontext das Unionsrecht (RL 2003/88/EG - ABl. 2003, L 299, 9 und Charta der Grundrechte der EU) auszulegen, wonach jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen erhält und dieser Anspruch außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf. Das BAG hat darauf hingewiesen, dass der EuGH im Jahr 2014 bereits entschieden hatte, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub nicht mit seinem Tod untergeht (EuGH, Urt. v. 12.06.2014 - C-118/13 "Bollacke").

Es sei jedoch fraglich, ob diese Rechtsprechung auch dann gelte, wenn eine solche finanzielle Vergütung nach dem nationalen Recht nicht Teil der Erbmasse werde, wie dies in Deutschland der Fall sei. Außerdem könne der mit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub verfolgte Zweck, dem Arbeitnehmer Erholung zu ermöglichen und einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zur Verfügung zu stellen, nach dem Tod des Arbeitnehmers nicht mehr verwirklicht werden.

Der EuGH hat entschieden, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub nach dem Unionsrecht nicht mit seinem Tod untergeht. Außerdem können die Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers eine finanzielle Vergütung für den von ihm nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub verlangen.

Nach Auffassung des EuGH können sich die Erben unmittelbar auf das Unionsrecht berufen, sofern das nationale Recht eine solche Möglichkeit ausschließt und sich daher als mit dem Unionsrecht unvereinbar erweist, und zwar sowohl gegenüber einem öffentlichen als auch gegenüber einem privaten Arbeitgeber.

Der Tod des Arbeitnehmers habe unvermeidlich zur Folge, dass er die Entspannungs- und Erholungszeiten nicht mehr wahrnehmen könne, die mit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der ihm zugestanden habe, verbunden seien. Der zeitliche Aspekt sei jedoch nur eine der beiden Komponenten des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub, das einen wesentlichen Grundsatz des Sozialrechts der EU darstelle und in der Charta der Grundrechte der EU ausdrücklich als Grundrecht verankert sei. Dieses Grundrecht umfasse auch einen Anspruch auf Bezahlung im Urlaub und – als eng mit diesem Anspruch auf "bezahlten" Jahresurlaub verbundener Anspruch – den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub.

Diese finanzielle Komponente sei rein vermögensrechtlicher Natur und daher dazu bestimmt, in das Vermögen des Arbeitnehmers überzugehen, so dass der tatsächliche Zugriff auf diesen vermögensrechtlichen Bestandteil des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub dem Vermögen des Arbeitsnehmers und in der Folge denjenigen, auf die es im Wege der Erbfolge übergehen soll, durch den Tod des Arbeitnehmers nicht rückwirkend entzogen werden könne.

Stelle sich heraus, dass eine nationale Regelung (wie die in Rede stehende deutsche Regelung) nicht im Einklang mit dem Unionsrecht ausgelegt werden könne, habe das mit einem Rechtsstreit zwischen dem Rechtsnachfolger eines verstorbenen Arbeitnehmers und dessen ehemaligem Arbeitgeber befasste nationale Gericht die nationale Regelung unangewendet zu lassen und dafür Sorge zu tragen, dass der Rechtsnachfolger von dem ehemaligen Arbeitgeber eine finanzielle Vergütung für den von dem Arbeitnehmer gemäß dem Unionsrecht erworbenen und vor seinem Tod nicht mehr genommenen bezahlten Jahresurlaub erhalte.

Diese Verpflichtung habe das nationale Gericht unabhängig davon, ob sich in dem Rechtsstreit der Rechtsnachfolger und ein staatlicher Arbeitgeber oder der Rechtsnachfolger und ein privater Arbeitgeber gegenüberstehen. Eine Richtlinie könne nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen, wie z.B. einen privaten Arbeitgeber, begründen, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich sei. In einem solchen Rechtsstreit sei jedoch hinsichtlich des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub eine Berufung auf die Charta möglich.

Quelle: Pressemitteilung des EuGH Nr. 164/2018 v. 06.11.2018´


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