Mit Beschluss vom 20. Dezember 2023, Az. 2 BvR 2103/20, hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts einer Verfassungsbeschwerde gegen eine strafrechtliche Verurteilung stattgegeben. Grundlage dieser Verurteilung war eine geständige Einlassung des Beschwerdeführers nach einer Verständigung.

Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe. Vorausgegangen war eine Verständigung zwischen dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten gemäß § 257c Abs. 1 Satz 2 Strafprozessordnung (StPO). Der Verteidiger des Beschwerdeführers gab für diesen eine kurze Erklärung ab. Er erklärte unter anderem, der Beschwerdeführer bestätige „die Tatvorwürfe aus der Anklage“. Der Beschwerdeführer erklärte: „Das ist richtig so“. Eine Beweisaufnahme zur Überprüfung der Einlassung fand nicht statt. Die vom Beschwerdeführer gegen das Urteil des Amtsgerichts eingelegte Sprungrevision verwarf das Oberlandesgericht als unbegründet.

Die Urteile des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG). Das Amtsgericht hat bei der Sachverhaltsaufklärung und der Beweiswürdigung die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an die Wahrheitserforschung verkannt. Das Geständnis des Beschwerdeführers hätte nicht als alleinige Grundlage zu seiner Verurteilung herangezogen werden dürfen. Dem Amtsgericht hätte sich zwingend die Notwendigkeit einer ergänzenden Beweiserhebung zur Überprüfung des Geständnisses und der Feststellung seiner Schuld aufdrängen müssen; insbesondere, weil das Verfahren als komplex und die Qualität des Geständnisses als gering einzustufen sind. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts hat diesen Verfassungsverstoß perpetuiert. Die Sache wird an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Sachverhalt

Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a Strafgesetzbuch – StGB) in 26 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. In der Hauptverhandlung schlug der Vorsitzende eine Verständigung gemäß § 257c StPO vor. Für den Fall einer geständigen Einlassung werde dem Beschwerdeführer eine Gesamtfreiheitsstrafe zwischen einem Jahr und einem Jahr und drei Monaten zugesichert, die zur Bewährung ausgesetzt werden solle. Der Beschwerdeführer und der Vertreter der Staatsanwaltschaft stimmten der Verständigung zu. Der Pflichtverteidiger gab für den Beschwerdeführer sodann folgende Erklärung ab:

 „Herr D. bestätigt die Tatvorwürfe aus der Anklage (…). Herr D. war Geschäftsführer der Firma und beschäftigte viele Arbeitnehmer aus Osteuropa. Ob dieser Personenkreis unternehmerisch tätig war oder nicht, war ihm nicht wichtig. (…) Ihn hat nicht interessiert, ob die Arbeitnehmer anzumelden sind oder dies bereits geschah. Er hat sich um die Dinge nicht gekümmert, er nahm die Konsequenzen in Kauf. (…) Der Tatvorwurf wird als bestätigt eingeräumt (…).“

Der Beschwerdeführer bestätigte diese Erklärung mit den Worten: „Das ist richtig so“. Nach den Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen und der Verlesung eines Auszugs aus dem Bundeszentralregister wurde die Beweisaufnahme geschlossen.

Der Beschwerdeführer legte gegen das amtsgerichtliche Urteil Sprungrevision ein, die das Oberlandesgericht als unbegründet verwarf.

Wesentliche Erwägungen der Kammer

Die Urteile des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

1. § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO schließt jede Disposition über Gegenstand und Umfang der dem Gericht von Amts wegen obliegenden Pflicht zur Aufklärung des mit der Anklage vorgeworfenen Geschehens aus. Eine Verständigung kann niemals als solche die Grundlage eines Urteils bilden. Weiterhin maßgeblich bleibt allein und ausschließlich die – ausreichend fundierte – Überzeugung des Gerichts von dem von ihm festzustellenden Sachverhalt.

2. Das Amtsgericht und das Oberlandesgericht haben den verfassungsrechtlichen Schutzgehalt des § 257c Abs. 1 Satz 2 StPO verkannt. Die Verurteilung des Beschwerdeführers beruht auf einer unzureichenden Erforschung der materiellen Wahrheit.

a) Das Geständnis des Beschwerdeführers hätte vernünftigerweise nicht als alleinige Grundlage zu seiner Verurteilung herangezogen werden dürfen.

Das Verfahren im Zusammenhang mit § 266a StGB ist als komplex einzustufen. Der Tatvorwurf erstreckt sich auf 26 Taten, die die Beschäftigung von mindestens 36 Personen in einem Zeitraum von fast drei Jahren betreffen und einen Schaden von mutmaßlich nahezu einer halben Million Euro umfassen.

Die Qualität des verständigungsbasierten Geständnisses des Beschwerdeführers ist insgesamt als gering einzuschätzen und dürfte kaum über ein Formalgeständnis hinausgehen. Die oberflächlichen und teilweise mehrdeutigen Ausführungen des Beschwerdeführers lassen es als äußerst zweifelhaft erscheinen, dass sich der Tatrichter allein auf dieser Basis vom Vorliegen der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des Straftatbestandes überzeugen konnte. Es ist insbesondere nicht erkennbar, dass das Amtsgericht bei Würdigung der Aussagekraft der geständigen Einlassung berücksichtigt hätte, dass der Beschwerdeführer das Geständnis nicht persönlich vortrug, sondern durch seinen Verteidiger verlesen ließ.

Das amtsgerichtliche Urteil lässt besorgen, dass sich der Tatrichter keine ausreichend fundierte Überzeugung von der Schadenshöhe verschafft hat. Diese stellt einen wesentlichen Faktor der Strafzumessung bei § 266a StGB dar. Das Amtsgericht hat wohl allein anhand der Einlassung des Beschwerdeführers, die Anklage als richtig zu bestätigen, darauf geschlossen, dass der sozialversicherungsrechtliche Schaden 494.793,19 Euro betragen haben muss.

b) Die Erforderlichkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts hätte sich dem Amtsgericht nach alldem aufdrängen müssen.

Das verständigungsbasierte Geständnis ist zwingend durch Beweiserhebung in der Hauptverhandlung auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Gleichwohl hat das Amtsgericht das Geständnis des Beschwerdeführers in den Urteilsgründen weder hinreichend erläutert noch es einer erforderlichen Prüfung durch formelle Beweiserhebung oder auf andere Weise unterzogen. So erscheint es als zweifelhaft, ob sich das Amtsgericht der Bedeutung der trotz des Geständnisses fortbestehenden Aufklärungspflicht nach § 257c Abs. 1 Satz 2, § 244 Abs. 2 StPO tatsächlich bewusst war. Es lässt sich keinesfalls von vornherein sicher ausschließen, dass eine weitere Beweiserhebung zur Überprüfung des verständigungsbasierten Geständnisses vorliegend einen weiteren Erkenntnisgewinn versprochen hätte.

Quelle: Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 15/2024 vom 7. Februar 2024

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